Objekt des Monats

Objekt des Monats November 2017

Bernsteinkassette, Schreibzeug

Material: Bernstein, Elfenbein, Alabaster

Datierung: um 1680

Maße: 21,8 x 14,5 x 10,2 cm

Inv. Nr.: 6951

Aussehen

Dieses Monat wird eine Kassette aus rötlichem Bernstein vorgestellt. Es handelt sich um ein rechteckiges Kästchen mit aufklappbarem Deckel, welches mit Bernstein in Inkrustationstechnik und erhabenen Bernsteincabochons belegt ist. Außerdem finden sich Goldmalereien in Rankenform unterlegt, sowie Elfenbeinreliefs auf Marienglas (schwarze Glimmerplättchen). Der Mittelteil der Bernsteinkassette ist erhaben. Die Ecken sind durch Alabaster akzentuiert. Auch an der Unterseite sind vier halbbogige, an den Rändern gebogene und mit kreisrunden Löchern ornamentierte Alabasterornamente zu sehen.

Im Inneren ist die Bernsteinkassette unterteilt. Hier werden eine Streusandbüchse und ein Tintenfass mit Deckel, welche aus Bernstein mit eingelegter Goldfolie bestehen, untergebracht. Außerdem ist das Objekt mit rotem Samt ausgelegt.

Am Deckel zeigen die Elfenbeinreliefs eine allegorische Frauengestalt die wohl für den Herbst und den Sommer steht. Auf der Vorderseite ist der griechische Mythos „Apoll tötet Python“ aus den Metamorphosen des Ovid, nach Vorlage von Virgil Solis, zu sehen. Der Mythos „Apoll erschlägt Koronis“ ist an der Rückseite dargestellt. An den Seitenwänden sind die Mythen „Jupiter raubt Europa“ sowie „Jupiter und Ganymed“ zu erkennen.[1] Doch was hat es mit diesen Mythen auf sich? Folgend soll kurz auf sie eingegangen werden.

Apoll tötet Python

Bei Apoll (lat. Apollo) handelt es sich um den Gott des Lichtes, der Weissagung und der Musik, welcher später auch als Sonnengott verehrt wurde. Als er mit seinen patriarchalischen Göttern auf die Balkanhalbinsel einzog, kam es zum ideologischen Kampf zwischen den alten Muttergottheiten und dem Herrschaftsanspruch der männlichen Götter. Eine Schlange Namens Python, welche das Orakel von Delphi bewachte, wollte sich dem jungen Apoll nicht fügen. Daraufhin tötete Apoll wutentbrannt die Schlange, was die Muttergöttinnen wiederum verärgerte. So wurde Apoll befohlen, zu Ehren des Pythons einen sportlichen Wettbewerb zu stiften, nämlich die Pythischen Spiele.[2]

Apoll erschlägt Koronis

Koronis, eine Tochter des Phlegias in Thessalien, war mit Apoll durch eine Liebesgemeinschaft verbunden. Sie empfand jedoch nicht nur Liebe für Apoll, sondern auch für Ischys, dessen Gattin sie werden wollte. Von einem Raben, welcher über Koronis wachte, erhielt Apoll die Nachricht über das Hochzeitsfest. Zornig über die Untreue der Koronis färbte er das weiße Gefieder des Raben schwarz. Außerdem sandte er seine Schwester Artemis zum Hochzeitsfest, welche Koronis mit einem Pfeil tötete. Reuevoll rettete er jedoch sein ungeborenes Kind aus dem Leichnam der Mutter. Der Sohn von Apoll und Koronis bekam den Namen Äskulap und wurde zum Gott der Heilkunde.[3]

Jupiter raubt Europa

Zeus (lat. Jupiter) ist als Vatergott und Herrscher bekannt. Aufgrund seiner sexuellen Unwiderstehlichkeit eiferten ihm die Griechen nach und vor allem Männer wollten wie Zeus, der Inbegriff eines potenten Mannes, sein. Zeus nutzte die Fähigkeit sich in jede mögliche Gestalt verwandeln zu können für seine Eroberungen. So auch bei der schönen Tochter von König Agenor von Phönizien, welche den Namen Europa trug. Da ihr Vater sie achtsam behütete, musste Zeus besonders vorsichtig vorgehen. In Form eines Stiers näherte sich Zeus Europa und ihren Freundinnen, welche am Strand spielten. Europa fand Gefallen an dem sanften Tier und kletterte auf den Rücken des Stiers. So entführte Zeus sie übers Meer hinweg nach Kreta. Dort nahm Zeus wieder seine menschliche Gestalt an und machte sie zur Mutter von drei Söhnen.[4]

Jupiter und Ganymed

Auch Ganymed, der Sohn des Königs Tros (Troja), entfachte Jupiters bzw. Zeus Liebe. Da er nicht mehr ohne ihn Leben wollte, verwandelte sich Zeus in einen Adler, flog zu ihm, packte ihn und trug ihn zum Olymp. Als Entschädigung sandte er Ganymeds Vater seinen Boten Hermes, welcher einen goldenen Weinstock und zwei Pferde überbrachte. Ganymed sollte fortan unsterblich sein und war als Geliebter Jupiters stets in seiner Nähe.[5]

Bernstein – das „Gold des Meeres“ 

Da es sich bei dem vorgestellten Objekt um eine Bernsteinkassette handelt, soll auf das verwendete Material eingegangen werden. Um den zunächst rätselhaften Bernstein rankten sich allerhand Mythen, bevor dessen Entstehung  wissenschaftlich erklärt werden konnte.  So legt Ovid in seinen Metamorphosen dar, dass ein Blitzstrahl Phaethon aus dem Sonnenwagen schleuderte, weshalb dieser in den Fluss Eridanus gestürzt sei. Sein Tod sei durch die Heliaden beweint worden, welche sich aufgrund der Trauer in Schwarzpappeln verwandelten. Ihre Tränen seien jedoch zu Bernstein geronnen. So wurde die Entstehung der Harzsubstanz erklärt.

Erst 1767 konnte eine naturwissenschaftliche Erklärung zum Ursprung des Materials gefunden werden. Bei Bernstein handelt es sich um das fossile Harz einer Kiefernart (Pinus succinifera), welches sich durch Ablagerungen im Meer oder auf der Erde bildet. Darum kann zwischen Seebernstein und Land- bzw. Erdbernstein unterschieden werden. Die Harzsubstanz kann Färbungen von weißlich über hellgelb, honigfarben bis rotbraun, von orange bis dunkelbraun aufweisen, wobei die Schichten zum Teil transparent, aber auch undurchsichtig sein können.  Das Material kommt vor allem im Gebiet der Ostsee, aber auch an den Küsten der Nordsee und im Mittelmeerraum vor. Der spröde und schwierig zu bearbeitende Bernstein erfordert Techniken des Amelierens, Drechselns oder Gravierens, um farblich möglichst differenzierte Effekte zu erhalten.
Obwohl die wissenschaftliche Erklärung über die Entstehung des Bernsteins einen Verfall dessen Wertschätzung zur Folge hatte, wurde das  Material über einen Zeitraum von ca. 10.000 Jahren zur künstlerischen Bearbeitung genutzt. [6] In der Renaissance wurden Schachspiele, Bestecke, Gefäße und Kästchen aus Bernstein hergestellt. Aufgrund der neuen Inkrustationstechnik wurden im 17. Jahrhundert aufwändige Bernsteinkabinette und bernsteinfurnierte Möbel gefertigt. Außerdem diente Bernstein als Gabe für Staatsgeschenke, sowie als „Handschmeichler“ im Rahmen politischer Allianzen. Ein bekanntes Beispiel ist das einzigartige Bernsteinzimmer, welches Friedrich Wilhelm I. von Preußen 1716 dem russischen Zaren Peter dem Großen in Erwartung einer Bündnistreue gegen Schweden offerierte. Nachdem das Bernsteinzimmer mit Kriegsende 1945 verloren ging, ist dessen Verbleib bis heute nicht geklärt.[7] Als kleine Entschädigung dafür können Sie bei uns im Museum einige Kassetten aus Bernstein, wie das vorgestellte Objekt mit mythologischen Darstellungen, betrachten.

Text: Hannah Konradt

[1] Vgl. Pall, Martina: Versperrbare Kostbarkeiten. 2006, S.68.

[2] Vgl. Dommermuth-Gudrich, Gerold: Mythen. Die bekanntesten Mythen der griechischen Antike. 2000, S. 202-204.

[3] Vgl. Kurts, Friedrich: Handbuch der Mythologie. 1869, S. 145f.

[4] Vgl. Dommermuth-Gudrich, Gerold: Mythen. Die bekanntesten Mythen der griechischen Antike. 2000, S. 108f.

[5] Vgl. Ebda., S. 78.

[6] Vgl. Haag, Sabine: „[…] weill wir gern der Röm Kay. Mayst. Unserm allergn[ä]d[ig]sten herrn ein ansehnlich praesent von Börnstein offeriren lassen wollten […]“. Einblicke in die Bernsteinsammlung des Kunsthistorischen Museums. In: Seipel, Wilfried: Bernstein für Thron und Altar. Das Gold des Meeres in fürstlichen Kunst- und Schatzkammern. 2005, S. 15ff.

[7] Vgl. Effmert, Viola: Bernstein – Teures Strandgut, Luxuriöser Exportartikel. Die Wiederentdeckung eines lange vernachlässigten Materials delikater Kunstobjekte in Wissenschaft, Museen und Handel. In: Laue, Georg: Bernsteinkostbarkeiten europäischer Kunstkammern. 2006, S. 25-31.