Objekt des Monats

Objekt des Monats Oktober 2017

Asrou N’Swoul – Tuareg Schlüssel

Der Schlüssel:

Inv.-Nr.: 4248

Maße: 27 x 7,2 cm

Nordafrika, 20. Jahrhundert

Das Objekt des Monats ist ein Schlüssel aus dem 3. Stock der Schell Collection, wo sich die Exponate aus Afrika und Asien befinden. Es handelt sich um einen Zierschlüssel der Tuareg, einem halbnomadischen Berbervolk aus Nordafrika. Solche großen und reich verzierten Schlüssel wurden und werden von den Tuareg Frauen als Gewandbeschwerer genutzt.[1] An den Zipfel des Kopftuches geknüpft und über die Schulter geworfen, halten sie das Tuch auch bei starken Wüstenwinden an seinem Platz.

Material und Form des Asrou N’Swoul

Die Tuareg sind ein stolzes Volk und legen sehr viel Wert auf Aussehen und Auftreten. Schmuck wird von Männern wie Frauen getragen und auch die Gegenstände des täglichen Gebrauchs sind sorgfältig hergestellt und aufwändig verziert.[2] So auch die rechteckigen Vorhangschlösser (tanast) der Tuareg, mit denen Lederbeutel verschlossen werden. Die Spreizfedernschlösser sind oft kompliziert zu öffnen und werden aus Eisen, Silber, Messing und Kupfer hergestellt.[3] Die großen, reicher verzierten Schlüssel (asrou) werden manchmal von den Frauen als Gewichte an ihren Kopftüchern getragen und asrou n’swoul (Schlüssel, der über die Schulter geworfen wird) genannt.[4] Tuareg Frauen bevorzugen Kopfschmuck, der ihre aufwändigen Frisuren betont und beim Gehen schwingt.[5] Manche dieser Schlüssel sperren wirklich noch, oft sind sie aber auch reine Ziergegenstände. Unser Schlüssel könnte zwar eine Sperrfunktion haben, die zwei Noppen am Schlüsselbart sprechen aber dagegen.

Die Reide des Schlüssels besteht aus drei aneinander gereihten geometrischen Formen. Ganz oben sind drei konzentrische Kreise angebracht, in der Mitte befinden sich zwei Mondsicheln. Darunter ist ein Rechteck mit gewölbten Seiten, eine Form, die man auch oft bei den Amuletten der Tuareg findet. Daran schließt der schmale rechteckige Schlüsselbart an. Die Grundform des Schlüssels ist aus Eisen geschmiedet und mit Zierauflagen aus goldenem Messing und rötlichem Kupfer versehen. Zusätzlich ist der Schlüssel mit aufgenieteten Zierdornen aus Messing verziert. Ganz im Stil der Handwerkskunst der Tuareg ist der Schlüssel reich mit geometrischen Formen durchbrochen und auch aufwändig ziseliert. Die klaren Linien, die Liebe zum Detail und die Feinheit der ziselierten Ornamente sind typisch für die von den Tuareg angefertigten Gegenstände.[6]

Die Tuareg und die Stellung der Frau

Die Tuareg sind ein halbnomadisches Hirtenvolk, das zu den nordafrikanischen Berbern zählt. Nachweise über die Existenz der Tuareg finden sich bereits in frühen arabischen Texten aus dem 10. Jahrhundert. Mit der Ausbreitung des Islams im 11. Jahrhundert übernahmen die Tuareg den Islam, behielten aber Grundzüge ihrer ursprünglichen Religion bei. Ihr Siedlungsgebiet erstreckt sich über die Sahara und den Sahel und befindet sich heute auf dem Gebiet von 5 Staaten. In Algerien, Niger und Mali leben die meisten Tuareg, einige auch in Libyen und Burkina Faso. Insgesamt gibt es heute ungefähr 1,5 bis 3 Millionen

Tuareg. Ursprünglich Halbnomaden und Hirten, leben viele heute auch in Städten. Die 4 Hauptgruppen sind die Ahaggar, Ajjer, Adrar und Aïr.[7]

Tuareg ist ein Name, der ihnen im Mittelalter von arabischen Reiseschriftstellern gegeben wurde. Sie selbst bezeichnen sich als Imūhagh (je nach Region auch Imajāghen oder Imūshaghen), was „die Freien“ bedeutet oder je nach Kontext und Adressaten Kel Tamāhaq („die, welche Tamāhaq sprechen“) oder Kel Tagelmust („die Leute des Schleiers“). Tamāhaq ist die Sprache der Tuareg und die einzige Berbersprache, die sich ihre Schrift bewahrt hat, das Tifinagh. Der Tagelmust ist der Gesichtsschleier der erwachsenen Tuaregmänner.[8] Bestehend aus Turban und Schleier, ist der Tagelmust das charakteristischste Kleidungsstück der Tuareg. Der Stoff ist mit Indigo gefärbt und glänzt tiefblau und färbt das Gesicht des Trägers mit der Zeit ebenfalls blau. Im Unterschied zu den meisten anderen muslimischen Völkern, verschleiern die Tuareg Frauen ihr Gesicht nicht. Sie tragen üblicherweise nur eine Art Kopftuch, Ekerhei genannt, das sie sich in manchen sozialen Situationen vor Nase und Mund halten.[9]

Frauen haben im Allgemeinen einen hohen Status in der Gesellschaft der Tuareg, es gibt matrilineare wie patrilineare Formen der Vererbung. Scheidungen sind nicht unüblich und werden auch oft von Frauen initiiert. Die Tuareg führen ihre Abstammung auch auf eine mächtige Ahnfrau namens Tin Hinan zurück. Das Zelt ist immer in Besitz der Frau, der Mann darf lediglich dort wohnen, sie besitzt auch ihren eigenen Schmuck und Vieh.[10] Auch Schlüssel befinden sich fast immer in der Verfügungsgewalt der Frau und werden dann eben oft am Gewand befestigt um als Gewandschließe und Beschwerer zu dienen.[11]

Die Eneden und die Tuareg Handwerkskunst

Innerhalb der Tuareg gibt es verschiedene soziale Gruppen, und die Handwerker, genannt Eneden oder Inadan, bildet eine eigene. Aufgrund ihrer Herkunft, es handelt sich vermutlich um Nachfahren jüdischer Handwerker, stehen sie außerhalb der Gesellschaft. Durch ihre Fähigkeit mit Hilfe von Feuer Metalle bearbeiten zu können, wurden ihnen auch magische Fähigkeiten nachgesagt. Die Eneden fertigen den gesamten Bedarf an Arbeitsgeräten, Werkzeugen, Waffen, Küchenutensilien und Schmuck an, der von den Tuareg benötigt wird. Auch die Frauen der Eneden sind kompetente Handwerkerinnen, ihr Metier ist die Lederverarbeitung.[12]

Die Herstellungstechniken und die verwendeten Formen und Designs der Eneden haben sich kaum verändert. Moderne Werkzeuge erleichtern heutzutage aber teilweise den Herstellungsprozess. Zu den Werkzeugen der Schmiede gehören Amboss und verschiedene Hämmer und Schlegel, Feilen, Meißel, Sägen, Zangen und Blechscheren sowie Lötkolben und Schlauchblasebälger. Punzen mit dem typischen Tuaregdekor und Stichel komplettieren das Werkzeug. Schmuck und andere Gegenstände werden üblicherweise geschmiedet, aus dem Metall geschnitten oder im Wachsausschmelzverfahren gegossen. Verwendet werden Silber, Eisen, Kupfer, Messing, Zinn und Aluminium und in den letzten Jahren auch immer öfter Gold für Schmuck.[13]

Das Eisen wurde bis vor kurzem noch von der ansässigen Landbevölkerung südlich der Sahara in den örtlichen Schmelzöfen hergestellt. Heutzutage wird es aber zum Großteil aus alten Autoteilen oder ähnlichem gewonnen. Auch Kupfer wurde früher abgebaut, wird heute aber aus anderen Quellen bezogen. Das Silber, das vor allem für die Herstellung von Schmuck verwendet wird, wurde bis vor kurzem noch aus Münzen gewonnen, die auf den örtlichen Märkten verkauft wurden. Bevorzugt wurden hierbei die ursprünglich aus Österreich stammenden Maria-Theresien-Taler.[14]

Für die Herstellung eines solchen Tuareg Schlüssels sind mehrere Arbeitsschritte. Zuerst wird der Rohling aus dem Eisen herausgemeißelt, plangeschlagen und dann mit groben Feilen geschlichtet. Die größeren Schlüssel, wie eben auch die asrou n’swoul, werden zusätzlich durch Auflagen aus Buntmetall verziert. Auf den eisernen Rohling werden nacheinander Zierauflagen aus Messing und Kupfer angebracht. Das rötliche Kupfer wird für gewöhnlich als letzte Schicht verwendet, damit es sich vorteilhaft von dem goldschimmernden Messing abhebt. Die einzelnen Schichten werden schließlich verlötet. Dabei werden die Auflagen durch Blechklammern am gewünschten Platz befestigt und dann über das Feuer gehalten bis das Lot geschmolzen ist und alle Teile verbunden sind. Zum Schluss wird das ausgeflossene Lot mit Feilen und feuchtem Sand entfernt. Als letzter Arbeitsschritt wird das Metall noch graviert oder ziseliert. Hierbei werden die Linienornamente mit einem Dreikantstichel in die Zierauflagen aus Messing und Kupfer gestochen.[15] Bei unserem Schlüssel wurden noch zusätzlich Zierdornen eingesetzt.notwendig.

Tuareg Symbolik

Jeder Gebrauchsgegenstand hat auch eine ästhetische Bedeutung. Materialien und auch die Ornamente und Dekortechniken haben eine besondere Wirkung. Silber ist eines der beliebtesten Metalle der Tuareg, es gilt als glücksbringend und wird meist für den traditionellen Schmuck verwendet. Im Gegensatz dazu hat Gold bei den Tuareg eine negative Konnotation und man glaubte lange dass es Unglück bringt. Dies hat sich, nicht zuletzt durch den Einfluss von Medien, in den letzten Jahren gewandelt. Gold ist ein Zeichen von Wohlstand geworden und vor allem junge Frauen ziehen den modernen Goldschmuck dem traditionellen aus Silber vor. Auch Eisen wird von den Tuareg als „schlechtes“ Metall angesehen. Da es aber ein notwendiger Werkstoff ist, zum Beispiel auch für die Herstellung der Schlüssel, versucht man die negative Wirkung durch Auflöten von Kupfer- oder Messingteilen zu neutralisieren.[16]

Die geometrischen Formen und Ornamente der Tuareg sind geprägt von Klarheit, Strenge und Sparsamkeit und wirken auch dann nicht überladen, wenn sie in großer Zahl eingesetzt werden. Die ausgeprägte Symmetrie betont die Strenge der Geometrie zusätzlich. Der Formenschatz besteht aus eignen wenige Grundelementen, dominierend sind gerade Linien und Punkte, gebogene Linien sind Kreise oder Kreisabschnitte. Das wichtigste Element ist vermutlich das Dreieck, vor allem in der Form des gleichschenkeligen Dreiecks. Viele andere Dekoelemente wie Zickzacklinien, konzentrische Kreise oder verschiedene Vierecke werden aus diesen Grundformen zusammengesetzt. Die Namen der verwendeten Ornamente stammen oft aus dem Vergleich mit Tieren, wie zum Beispiel die Spur der Gazelle oder das Auge des Chamäleons. Auch die Gestirne Sonne, Mond und Sterne tauchen häufig als Motive auf. [17]

Verfasserin: Julia Pfisterer, BA

Quellen der Bilder von Tuareg-Frauen:

Bild 1: https://i.pinimg.com/736x/79/cc/a4/79cca46725201fa1bde7a3cc06e1dac1–indigo-dye-guardians-of-gahoole.jpg

Bild 2: Göttler, Gerhard: Die Tuareg. Kulturelle Einheit und regionale Vielfalt eines Hirtenvolkes. DuMont, Köln: 1995, S. 241.

Bild 3: https://i.pinimg.com/736x/93/ca/c7/93cac7bf3a1c6a8f17303bd0e755a85f–touareg-mali.jpg

[1] Vgl. Loughran, Kristyne: Personal Beautification and Grooming. In: Thomas K. Seligman/ Kristyne Loughran (Hg.): Art of Being Tuareg. Sahara Nomads in a Modern World. (=UCLA Fowler Museum of Cultural History), South Sea International Press Ltd., Hong Kong: 2006, 158-165, hier: S. 165.

[2] Vgl. Loughran, Kristyne: Jewelry, Fashion, and Identity. The Tuareg Example. In: African Arts Vol. 36 Nr. 1 (2003), S. 52-65, 93; hier: S. 53.

[3] Vgl. Pall, Martina: Das europäische Vorhangschloss. Eigenverlag Hanns Schell Collection, Graz: 2009, hier: S. 234.

[4] Vgl. Loughran, Personal Beautification and Grooming, S. 165.

[5] Vgl. Loughran, Kristyne: Tuareg Jewelry. In: Thomas K. Seligman/ Kristyne Loughran (Hg.): Art of Being Tuareg. Sahara Nomads in a Modern World. (=UCLA Fowler Museum of Cultural History), South Sea International Press Ltd., Hong Kong: 2006, 202-212, hier: S. 202.

[6] Vgl. Loughran: Tuareg Jewelry, S. 202.

[7] Vgl. Seligman, Thomas: An Introduction to the Tuareg. In: Thomas K. Seligman/ Kristyne Loughran (Hg.): Art of Being Tuareg. Sahara Nomads in a Modern World. (=UCLA Fowler Museum of Cultural History), South Sea International Press Ltd., Hong Kong: 2006, 19-27, hier: S. 19, 22.

[8] Vgl. Haas, Sylvia Maria: Die Braut-Frau. Einige Überlegungen zur Kultur und Gesellschaft der Tuareg unter besonderer Berücksichtigung der Kel Ahaggar (Algerien). Gedanken zur nomadischen Lebensweise, Geisterglauben, sozialer Hierarchie und Ehe. Unveröff. Diss., Wien: 2002, S. 39, 78,  80.

[9] Vgl. Seligman: An Introduction to the Tuareg, S. 25.

[10] Vgl. Seligman: An Introduction to the Tuareg, S. 25: Haas: Die Braut-Frau, S. 112, 135.

[11] Göttler, Gerhard: Die Tuareg. Kulturelle Einheit und regionale Vielfalt eines Hirtenvolkes. DuMont, Köln: 1995, S. 240.

[12] Vgl. Kohl, Ines: Tuareg in Libyen. Identitäten zwischen Grenzen. Berlin: Reimer: 2007, S. 63f; vgl. auch: Göttler: Die Tuareg, S. 230.

[13] Loughran: Jewelry, Fashion, and Identity. The Tuareg Example, S. 54, 56; vgl. auch: Göttler: Die Tuareg, S. 230-231.

[14] Vgl. Bernus, Edmond: The Tuareg Artisan. In: Thomas K. Seligman/ Kristyne Loughran (Hg.): Art of Being Tuareg. Sahara Nomads in a Modern World. (=UCLA Fowler Museum of Cultural History), South Sea International Press Ltd., Hong Kong: 2006, 202-212, hier: S. 77.

[15] Vgl.: Konrad, Walter: Herstellung und Funktionsweise eines Zierschlosses (Tanast). Beobachtungen bei den Tuareg-Schmieden von Tamanrasset im Hoggar. In: Baessler-Archiv Band IV (1956), S. 13-25, hier: S. 21-23.

[16] Vgl. Göttler: Die Tuareg, S. 218; vgl. auch: Loughran: Jewelry, Fashion, and Identity. The Tuareg Example, S. 53-54.

[17] Vgl. Göttler: Die Tuareg, S. 221.