Objekt des Monats

Objekt des Monats Dezember 2017

Torgam – Ein Opferkabinett aus Tibet

Inv.-Nr.: 6910

Maße: 30 x 15 x 45 cm

Das Kabinett:

Bei dem Objekt, das diesen Monat im Fokus steht, handelt es sich um ein Kabinett für Opfergaben aus Tibet, ein so genanntes „Torgam“. Zeitlich ist das Kabinett aller Wahrscheinlichkeit nach in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts einzuordnen. Darin wurden Opfergaben an die zornvollen Gottheiten des tibetischen Buddhismus aufbewahrt. Nicht nur die Symbolik sowie die Wesen auf dem Kabinett sind interessant, sondern auch die Funktion dieser Objekte. Beides wird noch eingehend betrachtet werden.

Das Opferkabinett hat eine rechteckige Form und ist aus Silber hergestellt. Auf der Vorderseite befinden sich zwei Flügeltüren und darunter eine schmale Lade. Auf jeder der beiden Türen sieht man ein tanzendes Skelett, die so genannten „Chitipati“ oder „Citipati“. Rund um die Skelette sieht man Darstellungen von menschlichen Organen und Gliedmaßen. Um die Flügeltüren verlaufend ist eine Leiste aus menschlichen Schädeln angebracht. Weiters steht das Kabinett auf vier vergoldeten Füßen, die ebenfalls Totenköpfe darstellen. Beide Türen haben je einen halbkugelförmigen Griff, der ebenfalls vergoldet ist. Die Rück- und die Oberseite sowie beide Seitenteile sind ebenfalls verziert – sei es mit der Darstellung von Gottheiten oder eingravierten Gebeten.[1]

Die Symbolik:

Bevor auf die einzelnen mythischen Wesen und deren Symbolik eingegangen wird, noch ein paar Worte zum Äußeren dieser Opferkabinette. Die Motive geben Auskunft darüber, ob es sich um ein Opferkabinett handelt, dass sich in einem Heiligtum befindet oder eines für den privaten Gebrauch. Häufig sind die Kabinette wie jenes, das als Objekt des Monats ausgewählt wurde, aus Silber. Doch können sie auch aus Holz sein, das mit Malereien verziert ist. Die Darstellungen zeigten beispielsweise die tanzenden Skelette oder aber grimmige Gesichter, menschliche Schädel, diverse Tiere oder religiöse Symbole. Meistens sind die Wesen oder Objekte darauf mit jenen Gottheiten in Verbindung zu setzen, der die Opfergaben geweiht werden. Wie auch in anderen Religionen gelten bestimmte Tiere den zornvollen Gottheiten als zugehörig. Beispielsweise stehen schwarze Krähen oder schwarze Hunde mit dem Gott Mahakala in Verbindung. Auf den Opferkabinetten für den privaten Gebrauch befinden sich solche Darstellungen normalerweise nicht. Meistens sind diese nur mit kräftigen Farben wie Gelb oder Rot bemalt.[2]

Doch nun zu den Darstellungen auf solchen Opferkabinetten. Die tanzenden Skelette tragen – wie bereits erwähnt – den Namen „Chitipati“ oder „Citipati“. Das Wort „chitā“ bedeutet aus dem Sanskrit übersetzt „Leichenhaus“ oder „Beinhaus“. Eine weitere Übersetzung wäre auch „Scheiterhaufen“. Den Begriff „pati“ kann man mit „Herr“ oder „Gebieter“ übersetzen. Auf dem beschriebenen Kabinett halten beide tanzenden Skelette je einen tantrischen Stab („khatvāṅga“) und eine gefüllte Schädelschale („kapāla“) in den Händen. Die Chitipati gehören zum Gefolge der zornvollen, buddhistischen Gottheiten wie Mahakala oder Palden Lhamo.[3]

In Tibet kennt man einige solcher zornvollen Gottheiten und sie haben vor allem die Aufgaben zu schützen. Unter diesem Aspekt werden die Gottheiten dann „dharmapala“ genannt. Übersetzt bedeutet dies „Schützer der Lehre“. Das zeichnet diese Gottheiten als Verteidiger der Lehren des Buddhismus aus. Weiters schützen sie sowohl Menschen des religiösen, aber auch des privaten Lebens. Einige dieser Schutzgottheiten sind im ganzen Land bekannt, während die Verehrung von anderen sich oft nur auf eine bestimmte Region beschränkt.[4]

Palden Lhamo oder auch Penden Lhamo ist die einzige weibliche zornvolle Gottheit. Zu ihren Aufgaben gehört es den Dalai Lama und Lhasa – die Hauptstadt von Tibet – zu beschützen. Ihr Reittier ist ein Esel und auf Darstellungen reitet die Göttin auf diesem durch ein Meer von Blut. Ihr Gesicht ist eine wilde Fratze mit feurigem Blick und Reißzähnen im Mund. Die Haut von Palden Lhamo ist häufig mit dunklen Farben wie Blau dargestellt. Ihre Aufgabe ist es die Gebrechen und negativen Wünsche der Menschen zu schlucken. Oft hat sie auf Darstellungen eine Tasche bei sich, in die Palden Lhamo alles stopft, was sie nicht gleich schlucken kann. Häufig befindet sich auf ihrem Kopf eine Krone mit fünf menschlichen Schädeln. Diese repräsentieren Neid, Stolz, Habgier, Wut und den Unverstand wahre Weisheit zu erkennen. Man sieht zahlreiche Darstellungen von zornvollen Gottheiten des Buddhismus, die eine solche Krone tragen.[5]

Bei der männlichen Gottheit Mahakala kennt man verschiedene Formen. Meistens ist seine Hautfarbe – ebenso wie bei Palden Lhamo – dunkel dargestellt. Die Anzahl seiner Arme unterscheidet sich, je nachdem welche Form von Mahakala gerade abgebildet ist. Diese Gottheit kann zwei-, vier- oder sechsarmig dargestellt sein. Seine Attribute sind ein zeremonieller Stab („gandi“), das Hackmesser („karttrka“) sowie die Schädelschale („kapāla“). Seine Aufgabe ist es in dieser Schale jene Dämonen zu zerstückeln, die als Stellvertreter für die Begierde der Menschen nach Besitz und Reichtum stehen.[6]

Die Funktion:

Die Opferkabinette oder Torgams werden benutzt, um die Opfergaben an die jeweiligen Gottheiten darin zu verwahren. Der Wortteil „gam“ bedeutet soviel wie „Box“ oder „Behälter“. Die Opfergaben werden „torma“ genannt. Solche Opfer bestehen häufig aus geröstetem Gerstenmehl („tsampa“) und zerlassener Butter. Diese Lebensmittel werden dann zusammen geknetet und in eine bestimmte Form gebracht. Das Aussehen sowie die Farbe der Tormas zeigen an, für welche Götter oder Göttinnen die Gabe bestimmt ist. Die zornvollen Gottheiten des Buddhismus in Tibet wie Mahakala oder Palden Lhamo erhalten rotgefärbte, spitz-kegelförmige Opfergeschenke. Damit werden die fünf Sinne des Menschen dargestellt. Tormas dieser Art können aber auch verwendet werden, um böse Geister und Dämonen anzulocken und diese dann einzusperren. Die Opfergaben, die den friedlichen Göttern dargebracht wurden, haben eine weiße oder gräuliche Farbe und erinnern von der Form her an einen Kegel oder eine Stupa.[7]

Die Opfergaben werden ein ganzes Jahr in dem Torgam aufbewahrt. Aufgestellt werden diese dann in Schreinen („gonkhang“) oder Zimmern, die den zornvollen Gottheiten geweiht sind.[8] In den Klöstern ist es üblich jeden Abend ein Gebet für die zornvollen Gottheiten zu sprechen, um den Schutz für die buddhistische Lehre zu erbitten. Dann kommt es vor, dass ein Mönch noch ein zusätzliches Stück zu der bereits vorhandenen Opfergabe hinzufügt. Wenn ein Jahr vorbei ist, wird das alte Torma wieder aus dem Torgam entfernt und eine neue Opfergabe in das Kabinett hinein gegeben. Oft geschieht dies zum Jahreswechsel oder wenn ein großes Fest im Kloster gefeiert wird.[9]

 

Literatur:

Buckley, Chris: Tibetan Furniture. Identifying – Appreciating – Collecting, 2005.

Pal, Pratapaditya: Art from India, Nepal and Tibet in the John and Berthe Ford Collection, 2001.

Pall, Martina: Versperrbare Kostbarkeiten, 2006.

Schuster, Gerhardt: Das Alte Tibet – Geheimnisse und Mysterien, 2000.

Tsetan, Geshe Lobzang with Kathleen Kernell: Torgams and Yangams and their ritual use. In: Wooden Wonders – Tibetan Furniture in Secular and Religious Life, Hrsg. David Kamansky, 2004.

Text: Mag. Verena Lang

[1] Vgl. Pall, Versperrbare Kostbarkeiten. S. 122.

[2] Vgl. Tsetan, Torgams and Yangams and their ritual use. In: Wooden Wonders. S. 145.

[3] Vgl. Pal, Art from India, Nepal and Tibet. S. 323.

[4] Vgl. Buckley, Tibetan furniture. S. 96f.; Tsetan, Torgams and Yangams and their ritual use. In: Wooden Wonders. S. 332.

[5] Vgl. Buckley, Tibetan furniture. S. 100; Pal, Art from India, Nepal and Tibet. S. 321.

[6] Vgl. Buckley, Tibetan furniture. S. 99

[7] Vgl. Buckley, Tibetan furniture. S. 103f.; Schuster, Das alte Tibet. S. 81ff.; Tsetan, Torgams and Yangams and their ritual use. In: Wooden Wonders. S. 145.

[8] Vgl. Pal, Art from India, Nepal and Tibet. S. 323.

[9] Vgl. Buckley, Tibetan furniture. S. 104; Pall, Versperrbare Kostbarkeiten. S. 122; Tsetan, Torgams and Yangams and their ritual use. In: Wooden Wonders. S. 145.