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Objekt des Monats Juli 2023

Objekt des Monats

„Spätestens im Tod sind alle Menschen gleich“

Totentanz Eisenkästchen

Abb. 1: Eisenkästchen mit Totentanzdarstellungen

Das Objekt

Inv.-Nr.: 8385

Maße: 7,2 x 8,3 x 6,1 cm

Das Exponat des Monats Juli zeigt ein fein tauschiertes Eisenkästchen aus Frankreich mit gewölbtem Deckel und Tragegriff auf der Deckeloberseite. Über die zeitliche Einordnung erfahren Sie später mehr.  Aber was ist das Besondere an diesem Objekt? Bei näherer Betrachtung stellt man fest, dass außergewöhnliche Szenen mit Skeletten abgebildet sind. Dabei handelt es sich um die paarweise Darstellung von Menschen und Totengestalten. Das Motiv bezeichnet man als den sogenannten Totentanz. Welchen Ursprung das Bildmotiv hat und welche Bedeutung dahintersteckt, erfahren Sie im folgenden Artikel.

Die dargestellten Szenen wurden in einen durch Ornamente geschaffenen Bilderrahmen eingefügt. Die Menschen vertreten dabei ihre unterschiedlichen Stände oder Berufe und werden darunter in französischer Sprache erläutert. Insgesamt finden sich zwölf verschiedene Szenen auf dem Kästchen. An den Deckelseiten blicken jeweils zwei Personen von einer Art Veranda entweder auf die sich unten darbietende Szene oder wirken in ein Gespräch vertieft. Jede Seite des Kästchens ist fein tauschiert mit Gold- und Silbereinlagen. Der Deckel wird mithilfe von Scharnieren am Kästchen gehalten und darauf befindet sich ein ovaler Tragegriff. Das Vexier, ein verdecktes Schlüsselloch, kann mit einem, nicht original erhaltenen, Schlüssel geöffnet werden. Dabei handelt es sich um einen Hohldornschlüssel, die Reide – auch Griff genannt – ist in einer leicht längsovalen Form gehalten. Der Innenraum des Kästchens ist, im Vergleich zum Äußeren, schmucklos gestaltet. Ein ähnliches Objekt wurde während des Sammlertreffens 2019 in Bologna von der Caros Collection vorgestellt. Auf diesem Exponat sind mehr Paare pro Seite dargestellt, hingegen fehlt die Bezeichnung der Stände.

Das Objekt in der Schell Collection befindet sich seit September 2021 in der Sammlung und kann im ersten Stock bestaunt werden.

Tauschierung

Grundsätzlich versteht man unter der Technik der Tauschierung ein seit der Antike verwendetes Verfahren zur Verzierung von Oberflächen. Dabei werden unedle Metalle wie Eisen oder Bronze durch andere edle Metalle wie Gold oder Silber „getauscht“. Häufig werden dabei Drähte der jeweiligen Legierung in das Objekt eingelegt.[1] Dafür wird, meist in qualitativ höherwertigen Arbeiten, eine nach unten geformte Vertiefung eingemeißelt. Andernfalls wird das weichere Metall durch Widerhaken auf der Oberfläche gehalten.[2]

Der Totentanz

Was genau verbirgt sich nun hinter den tanzenden Skeletten und Menschen? Unter dem Totentanz, auch als Makabertanz bekannt, versteht man eine zusammengehörende Bildfolge, bei der Totengestalten mit Personen aller Gesellschaftsschichten zusammen in Paar- oder Reigendarstellung abgebildet sind. Häufig werden die Bildszenen mit einem Textteil als Verse verbunden, der Rede und Antwort auf die Aufforderung des Todes zum Mittanzen sowie dessen Ablehnung wiedergibt. Jedoch gibt es keine einheitliche Vorgabe wie die Totengestalten zusammen mit den Menschen dargestellt sein müssen und ob sie in Begleitung von Texten wiedergegeben werden.[3] Dem Motiv des Totentanzes liegen mehrere Faktoren zu Grunde: Zu Beginn steht die Gleichheit der Menschen vor dem Tod, ungeachtet ihres weltlichen oder geistlichen Standes. Des Weiteren wird den Menschen die Nichtigkeit des irdischen Daseins bewusst gemacht und der Verfall des Lebens verdeutlicht. Dabei ist der illustrierte Gedanke des „memento mori“, der sinngemäß mit „sei dir der Sterblichkeit bewusst“ übersetzt werden kann, ein wichtiger Bestandteil. Gleichzeitig ist dieser als didaktische Mahnung zu verstehen. Das Motiv des Totentanzes ist aus verschiedenen Überlieferungstraditionen entstanden und kommt im gesamten europäischen Raum vor.[4]

Bedeutende literarische Vorlagen für den Totentanz sind unter anderem die „Vado-mori-Gedichte“ und die „Legende der drei Lebenden und Toten“. Von den Gedichten, die es seit dem 13. Jahrhundert gibt, stammt die Idee, dass jede Gesellschaftsschicht gleichermaßen vom Tod betroffen ist und dieses Bewusstsein in den Menschen geweckt werden soll. Dabei geht es bei beiden Texten um den Gedanken zur Vergänglichkeit des Lebens und die dahintersteckende Mahnung, dass das Leben ausnahmslos ein Ende findet. Die Frage stellt sich nur nach dem Zeitpunkt. Der älteste „danse macabre“, wie das Motiv auch genannt wird, findet sich in der Handschrift „Respit de la Mort“ aus Paris von 1361/1376, welche von Jean Le Fèvre de Ressons verfasst wurde. Die genaue Bedeutung der geschriebenen Zeilen ist bis heute ein Rätsel, jedoch befassen sie sich inhaltlich mit dem Tanz des Makabers, der die Menschen ins Grab bringt.[5]

Als Ursprung der bildlichen Darstellungen wird der sogenannte Urtotentanz des Pariser Franziskanerklosters Aux SS. Innocents gesehen. Der Totentanz wurde 1424 und 1425 mit Text und Bild auf die Friedhofsmauer gemalt, ist aber heute nicht mehr erhalten. Überliefert wurde die bildliche Darstellung von dem Pariser Verleger Guyot Marchant im Jahr 1485 in seinen Holzschnittbüchern. Aufgrund der verschiedenen Darstellungsmöglichkeiten in diversen Medien gibt es viele Formen und Ausführungen der Tanzenden. Variieren können dabei nicht nur die Tanz-Darstellungen an sich, sondern auch die Personenauswahl. Besonders erwähnenswert ist die Einbeziehung der Frauen in die Totentanzdarstellung. Bereits in Paris wurde der Frau eine eigene Abbildung gewidmet, in späterer Folge wurden zahlreiche Damen aus den unterschiedlichsten Gesellschaftsschichten in die Darstellungsreihen aufgenommen. Besonders seit den 1450ern mit der Erfindung des Buchdrucks und dem damit verbundenen reduzierten Format weichen die ursprünglichen Reigendarstellung, wo der Tod und die Menschen in abwechselnder Haltung sich gemeinsam durchgehend an die Hand nehmen, ab. Daraus entwickeln sich die tanzenden Paare der Lebendigen und Toten. Zusätzlich können Musikinstrumente oder andere Gegenstände, wie Särge, Platz im Bild finden. Vorteil des neuen Mediums des Buchdrucks ist unter anderem die weite und rasche Verbreitung des Motivs in der Bevölkerung. Jedoch verlieren die Totentänze dadurch die imposante Größe von Wandgemälden und der damit einhergehenden größeren Furcht der Menschen.[6]

Ein weiterer sehr bekannter Buchverleger im 15./16. Jahrhundert war Simon Vostre. Für seine Stundenbücher hat er ebenfalls den Pariser Urtotentanz als Quelle für seine Personenauswahl herangezogen und von Marchant kopiert. Ansonsten gibt es bis auf wenige Ausnahmen nicht viele Verbindungen zwischen den beiden Publikationen. Dabei hat Vostre bei den männlichen Figuren auf frühere Versionen zurückgegriffen, jedoch auch die Version Marchants von 1491 übernommen. Zurückzuführen ist dies auf die Darstellungen von zwei Frauen, die erst ab diesem Jahr Teil des Totentanzes von Marchant waren. Simon Vostre schrieb zusätzlich unter jedes Bild die passende Bezeichnung der Person. Beim Kästchen aus der Schell Collection ist der Hersteller unbekannt, die Abbildungen jedoch lassen sich im Ursprung auf jene von den ersten Stundenbüchern zurückführen.[7]

Abb. 4-7: alle Seitenansichten der Darstellungen der Totentänze

Beim Exponat sind folgende Personen dargestellt:

Le cardinale = der Kardinal

La hugnote = die Hugenottin

L’abbesse = die Äbtissin

La marcháde = die Kaufmannsfrau

Le marchant = der Händler, Kaufmann

Le sergent = der Wachtmeister

La vielle damoise = die alte Dame

Le pape = der Papst

L’empereur = der Kaiser, Imperator

La loyne = die Königin

Le chevalier = der Ritter

Le connétable = der Oberfeldherr des französischen Königs

Ein Problem bei der Identifizierung der Personen ergibt sich, weil viele Benennungen heute nicht mehr existieren, anders geschrieben werden oder auch Stände degradiert wurden. Besonders bei einer weiblichen Bezeichnung gibt es Kontroversen zur Figur.

Denn Vostre schrieb 1510 als Beschreibung „la ungnote“ bei der Abbildung dazu. Jedoch gibt es keine andere Totentanzdarstellung mit dieser Bezeichnung, sondern wurde immer mit „la mignote“ als richtige Schreibweise ausgeführt, welche mit „meine geliebte Frau“ übersetzt werden kann. Simon Vostre könnte die Beschriftung einfach sehr schlampig ausgeführt haben und meinte in Wirklichkeit, wie alle anderen auch, diesen Begriff.

Beim Kästchen der Schell Collection taucht jedoch ein anderer Fall auf. Die Darstellungen stimmen, bis auf kleinere Details, überein mit den Abbildungen aus dem Stundenbuch „Appendice a L’imitation de Jésus-Christ“ herausgegeben von Henri Léon Curmer in Paris in den Jahren zwischen 1850 und 1860. Entworfen wurden diese von Mlle d’Aligny, welche Simon Vostre als Vorbild nahm. Sie kopierte die Darstellungen, führte sie aber karikaturhafter und vor allem seitenverkehrt aus. Bei der Benennung der vorher diskutierten Bezeichnung der Frau tritt hier eine Abweichung auf. Denn d’Aligny schrieb hier das Wort „la hugnote“ darunter.[8] Als Hugenotten werden Anhänger des Calvinismus seit 1560 in Frankreich bezeichnet und kennzeichnen das Zeitalter der Glaubensspaltung. Daraus resultierten 1562-98 acht Hugenottenkriege, wobei die Hugenotten mithilfe Englands gegen das französische Herzogsgeschlecht der Guise die zusammen mit Spanien kämpften. In weiterer Folge kam es 1572 zur Bartholomäusnacht, wo ca. 20.000 Hugenotten ermordet wurden, aber sich trotz dieser Niederlage behaupten konnten. Als Ergebnis blieb Frankreich zwar katholisch, dennoch erzielten die Hugenotten eine Integration, waren jedoch politisch als auch in kultureller Hinsicht eine Minderheit. Dabei hatte Heinrich IV. einen nationalen Einheitsstaat verwirklicht.[9] Da d‘Aligny in Curmers Stundenbuch diverse Stände illustrierte, änderte sie womöglich den Stand der geliebten Ehefrau in die Position der Hugenottin um und modifizierte so die Darstellung unter Einbeziehung vergangener Ereignisse und der Anerkennung neuer Religionsgruppen. Bis heute konnte die Debatte um etwaige Bezeichnungen nicht vollständig geklärt werden und lässt Raum für eine weiterführende wissenschaftliche Behandlung mit dem Thema.[10]

Ein Diskurs stellt in weiterer Folge die Datierung des Objekts dar. Für eine zeitliche Einordnung müssen mehrere Faktoren berücksichtigt werden. Es stellt sich die Frage, ob sich der Kunsthandwerker d’Aligny zum Vorbild nahm oder eine umgekehrte Beeinflussung stattfand. Dahingehend besteht auch die Möglichkeit anderer Vorbilder, die sich uns noch nicht erschlossen haben. Festgehalten werden kann mit Sicherheit, dass das Kästchen aus der Schell Collection nicht vor den Hugenottenkriegen Mitte des 16. Jahrhundert gefertigt wurde.

Text: Jasmin Längle, MA

 

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1-7: Schell Collection, Graz.

Abb. 8: http://www.dodedans.com/Exhibit/Image.php?lang=e&navn=vostre-18-2-la-mignote [Zugriff: 25.04.2023].

Abb. 9: http://www.dodedans.com/Exhibit/Image.php?lang=e&navn=daligny-18-2-la-mignote [Zugriff: 25.04.2023].

Abb. 10: Schell Collection, Graz.

Literaturverzeichnis

Kinder Hermann/Hilgemann, Werner. Dtv-Atlas Weltgeschichte, Band 1. Von den Anfängen bis zur Französischen Revolution, München 1964.

Kunz, Peter H., Alte Handwerkskunst. Gravieren, Tauschieren, Ziselieren, Ätzen, Metallfärben und Beineinlegearbeiten in Holz. Eine Beschreibung der alten Handwerkskunst sowie eine detaillierte Arbeitsanleitung erklärt in Texten, Zeichnungen und Bildern anhand von Verzierungen an Historischen Feuerwaffen, Schaffhausen 2017.

Leßmann, Thomas, Der Totentanz. Zur motivgeschichtlichen Genese und Aktualität eines didaktischen Mediums des Spätmittelalters. In: Missomelius, Petra (Hrsg.): AugenBlick. Marburger Hefte zur Medienwissenschaft. Heft 43: ENDE – Mediale Inszenierungen von Tod und Sterben, Marburg 2008.

Lucie-Smith, Edward, DuMont’s Lexikon der Bildenden Kunst (2. Auflage), Köln 1997.

Riedl, Karin, Der Tod reicht allen die Hand. Totentänze des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, Masterarbeit, Graz 2019.

Online Quellen

Hagstrøm, Martin, http://www.dodedans.com/Eindex.htm, [Zugriff: 24.04.2023].

Nachweise

[1] Vgl. Lucie-Smith, S. 284.

[2] Vgl. Kunz, S. 29.

[3] Vgl. Riedl, S. 7-17.

[4] Vgl. Leßmann, S. 15-27, hier S. 15-17.

[5] Vgl. Ebd., S. 23-24;30.

[6] Vgl. Leßmann, S. 20-22.

[7] Vgl. Hagstrøm, http://www.dodedans.com/Emargin03.htm [Zugriff: 18.04.2023].

[8] Vgl. Hagstrøm, http://www.dodedans.com/Emargin20.htm [Zugriff: 21.04.2023].

[9] Vgl. Kinder/Hilgemann, S. 247.

[10] Vgl. Hagstrøm, http://www.dodedans.com/Emargin20.htm [Zugriff: 24.04.2023].