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Objekt des Monats November 2025

Objekt des Monats November 2025

Was doppelschwänzige Meerjungfrauen, Lapislazuli und Goldschmiedearbeiten aus Wien verbindet

Abb. 1: Deckeldose mit Emailauflagen

Im Zentrum steht eine Deckeldose mit Emailarbeiten aus Wien. Besonders sind nicht nur die Materialien wie Silber, Email und Lapislazuli, sondern auch die Aufsatzfiguren. Zunächst mag die Darstellung der zweischwänzigen Meerjungfrau unscheinbar wirken. Kennen wir doch alle die Geschichte der Kleinen Meerjungfrau aus Andersens Erzählungen. Doch was steckt hinter diesem Fabelwesen, was hat es mit Sirenen und Melusinen auf sich oder sind sie alle Geschöpfe, die gleichwertig als Synonym verstanden werden können? Dieser Fragestellung wird in diesem Objekt des Monats nachgegangen.

 

Das Objekt

Inv. Nr. 3450

Maße: 14 x 16 x 8 cm

Material: Silber, Email, Lapislazuli, Kristallglas und Halbedelsteine

Datierung: spätes 19. Jahrhundert

Herkunft: Wien, Österreich

Standort: 1. Stock, Vitrine 10

Ab 18. September 2025 bis September 2026 in der Sonderausstellung „Vom Zauber der Materialien“, Foyer

Abb. 2: Vorderansicht der Deckeldose mit Emailauflagen

Bei diesem Objekt des Monats handelt es sich um eine wunderschön gestaltete Deckeldose (Abb. 1+2) aus Wien. Gefertigt wurde sie Ende des 19. Jahrhunderts vom Goldschmied Karl Roessler. Sie besticht nicht nur durch ihre Farbenpracht bei den Emaillierungen, sondern beinhaltet auch faszinierende und wertvolle Materialien wie den präsenten Lapislazuli oder Kristallglas. Der abnehmbare Deckel ist in Form eines Segmentgiebels gestaltet, welcher von Emailornamenten und Halbedelsteinen umrahmt ist und darin höchstwahrscheinlich mit graviertem Kristallglas ausgestaltet ist. Als Griff dient ein geschliffener Knauf aus Lapislazuli. Auf der Deckeloberseite befinden sich auf einer Platte aus Lapislazuli Verzierungen aus transluzidem Email in intensiven Farbtönen. Auf der Vorder- und Rückseite des Korpuses ist auf einer Untergrundplatte aus Lapislazuli ein Cabochon-Medaillon mit graviertem Kristallglas zentral in der Mitte eingesetzt. Rundum folgen Verzierungen aus Halbedelsteinen und Email. Auf beiden Seiten enden die Füße als Abschluss in einer dreidimensionalen Vogelfigur aus Emailauflagen. Die beiden Seitenwände sind ähnlich aufgebaut wie der Rest des Exponats. Wieder auf einer Platte aus Lapislazuli ist jeweils eine vollplastische doppelschwänzige Meerjungfrau, teilweise aus Email, als Fuß gestaltet. Der Oberkörper der Wasserfrau ist hingegen nur in Silber gefasst mit eingesetzten Halbedelsteinen. Auch an der Unterseite findet sich eine Platte Lapislazuli. Der Korpus des Objekts selbst wurde aus Silber hergestellt.

Karl Rössler

Silberwaren wurden häufig mit Beschauzeichen (Abb. 3) (auch als Stempel, Punze, etc. bezeichnet) gekennzeichnet. Hierbei handelt es sich um Stadtzeichen und/oder Feingehaltsmarken. Diese dienten als Garantie und wurden vom Beschaumeister eingeschlagen. Mit solchen Zeichen ist es heute möglich eine Bestimmung über Herkunft, Feingehalt und Hersteller abzugeben. Bereits in der griechischen Antike kennzeichnete man Objekte aus Silber. Die Codierung mit Stadtmarken wurde in Deutschland vermehrt im 15. und 16. Jahrhundert eingesetzt, es folgten Meistermarken und Jahresangaben.[1]

Abb. 3: Silberpunze und Meistermarke

Auf diesem Exponat finden sich jeweils im Deckel und im Inneren des Korpus zwei Silberpunzen. Bei einer handelt es sich um den Dianakopf in einer Blütenumrandung mit der Ergänzung 3A. Diese gibt an, dass das Silbererzeugnis zwischen 1872-1922 mit einem Feingehalt von 800/1000 in Wien hergestellt wurde. Die Meistermarke „KR“ in einem Rechteck mit abgeflachten Ecken steht für Karl (Carl) Roessler (Rös(s)ler)[2]. Der Goldschmied erlangte seine Gewerbsverleihung im Jahr 1890. Für Roesslers Erzeugung wurde angegeben: „Kunstgewerbliche Gegenstände in Gold und Silber. – Email- und Antique-Imitation“.[3] Bei dem Geburtsdatum von Karl Rössler gibt es jedoch noch einen Widerspruch. Laut einigen Auktionshäusern wurde der Goldschmied 1854 im heutigen Tschechien geboren. Einem Eintrag des Wiener Archivinformationssystem zufolge, gibt es jedoch auch einen Karl Roessler welcher am 24.09.1857 geboren wurde und am 09.01.1942 in Wien verstarb.[4]

Erstaunlich ist, dass diese Dose einen fast identen Zwilling (Abb. 4) hat. Diese ist 2013 vom Auktionshaus Bonhams versteigert worden. Unterschiede lassen sich in der Farbenpracht und kleinen Details in der Dekoration feststellen. Unser Exemplar weist gedämpftere Farben auf und ist feiner und detailreicher im Dekor. Hingegen wurde das andere Objekt mit kräftigeren Farbtönen ausgeführt. Auffällig ist zudem, dass bei diesem Objekt die Oberkörper der Meerjungfrauen mit Email überzogen wurden. Im Inneren befindet sich hier ein Überzug aus grauer Seide, wodurch nicht nachvollzogen werden kann, ob sich dieselben Beschauzeichen wiederfinden.

Abb. 4: Vergleichswerk einer Deckeldose mit Emailauflagen, Auktionshaus Bonhams

Heute findet man nur mehr wenige Objekte von Karl Roessler in anderen Museen oder am Kunstmarkt. Seine Silberarbeiten bestechen nicht nur durch ihre Qualität, sondern auch in der Auswahl der Materialien. Neben Silber führt er die Emailauflagen mit intensiven Farbtönen und unterschiedlichen Techniken aus. Zentral jedoch ist auch die Verwendung vom kostbaren Material Lapislazuli in vielen seiner Werke.

Lapislazuli ist ein seit der Antike bekanntes Gestein, dessen Name sich von den lateinischen Wörtern lapis „Stein“ und lazulum – „blau“ ableitet. Es setzt sich aus mehreren mineralischen Komponenten zusammen, für seine Farbe ist ein Komplex aus Lasurit, Sodalith und Afghanit maßgebend. Die metallisch golden wirkenden Flecken (Abb. 5) kommen vom Mineral Pyrit. Abgebaut wurde es bereits 7000 v. Chr. in einer Lagerstätte in Afghanistan, heute sind dennoch nur wenige Abbaustätten von ihnen bekannt. Als eines der ersten Fernhandelsgüter wurde das Gestein bis nach Mesopotamien gehandelt. [5]  Wenn Sie gerne mehr über diesen Werkstoff erfahren möchten, können Sie im Objekt des Monats Juli 2025 oder im Ausstellungskatalog zur Sonderausstellung „Vom Zauber der Materialien“ ausführlicher darüber nachlesen.

Abb. 5: Details der Untergrundplatten aus Lapislazuli und des Kristallglas-Medaillon

Goldschmiedearbeiten

Die frühesten Goldschmuckstücke finden sich am Übergang der Stein- zur Bronzezeit. Goldschmiede kamen bereits im hellenistischen Ägypten vor und waren nicht nur Sklaven, sondern konnten auch freie Mitarbeiter sein. Vielmals waren die Betriebe ähnlich geführt mit vorwiegender Arbeitsteilung, wie es heute bei industrieähnlichen Großbetrieben bekannt ist. Die weitaus älteste Zunftordnung in Österreich war eben jene der Goldschmiede. Bereits vor 1300 schlossen sie sich in einer Innung zusammen, namentlich ist dabei der Goldschmied Bruno in einer Urkunde aus dem 12. Jahrhundert erwähnt, jener ist vor 1170 verstorben. Sowohl der Handel als auch das Gewerbe erlebten eine Hochphase im 13. Jahrhundert und schon hier begannen sich einzelne Mitglieder für die Wahrung ihrer Interessen zusammenzuschließen und diverse Anforderungen zu vereinbaren. Dabei waren im Grunde Zünfte Interessenvertretungen, die einerseits für die Wahrung der Handwerksqualität einstanden und andererseits jedoch Konkurrenz von freien Handwerkern minimieren wollten. In Österreich nannte man solche Vereinigungen auch Zechen. Innerhalb der Stadtmauern wurde es zur Pflicht sich seiner Zunft anzuschließen, es herrschten darin festgelegte Gesetze. Dabei ging es unter anderem um die Unterstellung eines herzoglichen Münzmeisters und dessen Befugnisse, das Einsetzen von Beschaumeistern oder auch die Erblichkeit des Meisterrechts. Den Meistertitel konnte man durch Erbschaft oder aber durch eine Neuverleihung erwerben. Bei einer Neuverleihung war durch den Münzmeister genau geregelt, welche Leistungen erbracht werden müssen. Zum einen musste ein Geburtsbrief vorgelegt und das Bürgerrecht der Stadt Wien erlangt werden, andererseits musste auch innerhalb eines Jahres eine Ehe geschlossen werden. Zuvor absolvierte man eine Lehr- und Gesellenzeit. Der römisch-deutsche König Friedrich III. ergänzte die seit 1366 existierende Zunftordnung in einer Urkunde im Jahr 1446 mit weiteren Punkten. Eines der zentralen Themen war das Erschaffen eines dreifachen Meisterstücks. Es musste ein Kelch, ein Siegel mit eingraviertem Wappenschild und -helm hergestellt sowie ein Diamant gefasst werden. Zu den führenden Goldschmieden ihrer Zeit zählten unter anderem Benvenuto Cellini, Italiens bekanntester Bildhauer und Goldschmied des 16. Jahrhunderts. Wenzel Jamnitzer war hingegen in Deutschland ein Ausnahmetalent. Die Arbeitsweise hat sich jedoch über die Jahrhunderte nicht grundlegend geändert.[6]

Wie die meisten Zünfte und Innungen hatten auch die Goldschmiede einen Schutzpatron ernannt. In ihrem Fall war seit dem frühen Mittelalter der Heilige Eligius sowohl Patron der Goldschmiede als auch jener der Hufschmiede. Er wurde in Frankreich 585 geboren und übte selbst den Beruf aus und war in späterer Folge Münzmeister des französischen Königs. Später erhielt er das Amt des Bischofs und bis zu seinem Tod wurde er als Heiliger verehrt. Zu den wichtigsten Auftraggebern dieses Handwerks zählten geistliche Würdenträger, Äbte und Bischöfe.[7]

Emailkunst mit besonderem Augenmerk auf Wien

Als Emailarbeiten zählen alle künstlerischen Werke, bei denen gefärbte Glasflüsse auf Metalluntergründen aufgeschmolzen oder für Bemalungen verwendet werden. Dabei gibt es verschiedenste Arten und Techniken, wie man Email (Abb. 6) auftragen und anwenden kann. Wien war nicht nur ein Zentrum der Künste, sondern weist im ausgehenden 18. Jahrhundert eine lange Geschichte der Emailkunst auf. Es kam zur Kunstform des „Wiener Emails“. Dabei handelt es sich um Prestigeobjekte, die an Formen aus der Renaissancezeit erinnerten, es kamen figürliche Darstellungen und feine Musterungen durch intensive Farben zum Ausdruck. Neben Karl Roessler waren Zeitgenossen beispielsweise Herman Ratzersdorfer oder Hermann Böhm.[8]

Speziell im 19. Jahrhundert wurde diese Technik auch von Goldschmieden aufgenommen und angewandt. Eine andere Gruppe von Emailleure waren jene, die oftmals die Limosiner Arbeiten als Vorbild nahmen.[9] Anfang des 19. Jahrhunderts orientierten sich einige der Künstler und Goldschmiede an dem Erscheinungsbild der Artefakte aus dem 16. und 17. Jahrhundert, vorwiegend wurden kostbare Materialien wie gravierter Bergkristall und Lapislazuli eingesetzt. Für die Fassungen wurden vor allem Gold und Silber bevorzugt. Nach den antiken Vorbildern wurden vor allem Kannen, Trinkhörner und Schalen hergestellt. Viele der außergewöhnlichsten Stücke wurden zwischen 1870 und 1890 erzeugt.[10]

Dabei gibt es zwei verschiedene Bearbeitungsmethoden von Silber und Gold. Einerseits die Kaltbearbeitung und andererseits den Guss. Bei der ersten Methode können drei verschiedene Gruppen unterschieden werden. Bei der formverändernden Tätigkeit werden Techniken wie Schmieden, Treiben und Pressen angewendet. Bei spanabhebenden Arbeitsweisen kann gegraben, gebohrt, gedreht, gefeilt oder geschliffen werden. Bei der letzten Kategorie werden Ketten, Bänder und Rollen gebogen und geschnitten.[11] Dabei können dann auch fabelhafte figürliche Darstellungen, wie bei diesem Exponat, erzeugt werden.

Abb. 6: Detail des Emails auf der Deckeloberseite

Meerjungfrauen, Melusinen und Sirenen

Was haben Sirenen, Melusinen und Nymphen gemeinsam oder bedeuten sie alle dasselbe? Andreas Kraß ist deutscher Literaturwissenschaftler und veröffentlichte in seiner Publikation die verschiedenen Deutungsweisen von Meereswesen, in welcher Form sie in Überlieferungen zu finden sind und wie sich die Darstellungen verändert haben bzw. zeigt die Unterschiede zwischen ihnen auf. Hierbei soll kurz ein Einblick in seine Erkenntnisse gegeben werden, damit man einen Eindruck über dieses breit gefächerte Thema gewinnen kann. Geschichten und Erzählungen über Meerjungfrauen gibt es bereits seit Jahrhunderten. Jedoch änderten sich im Laufe dieser Zeit immer wieder die Namen und Bedeutungen dieser Geschöpfe. Das erste Mal, dass das deutsche Wort MEERJUNGFRAU auftaucht, ist bereits im 14. Jahrhundert der Fall. Als Wesen mit Fischschwanz erschien diese Darstellungsweise bereits im 13. Jahrhundert in Tierbüchern, den sogenannten Bestiarien. Meerjungfrauen werden in der Literatur häufig in Gruppen und als Schwestern vernommen. Dabei kommen Sirenen eher in der Antike, Melusinen im Mittelalter und Nymphen in der Romantik vor.[12]

Sirenen waren im Meer, Melusinen in Waldbrunnen und Nymphen in Flüssen aufzufinden. Dabei verlässt beispielsweise Melusine das Element Wasser um in den Bereich der Menschen überzugehen, Nymphen ziehen hingegen den Mann in ihren Bereich des Wassers hinab. Im Lauf der Geschichtsschreibung ändern sich die Erzähltraditionen der Sagen und Mythen und wurden fortlaufend verändert. Natürlich gibt es auch noch zahlreiche weitere Geschichten, eine der bekanntesten ist Hans Christian Andersens „Die kleine Meerjungfrau“ von 1837, die auch Vorlage für die bekannte Disney Verfilmung wurde.[13]

Im sehr bekannten Roman „Melusine“ von Thüring von Ringoltingen aus dem Jahr 1456 wird beispielsweise eine unmögliche Liebe zwischen Mensch und Fee erzählt, zwischen Reymund und Melusine. Sie folgt demnach dem Muster einer sogenannten Martenehe[14]. Raymund hatte bei der Jagd unabsichtlich seinen Onkel getötet und kurz darauf Melusine in einem Waldbrunnen entdeckt, die ihm bei einer Heirat Reichtum und Glück versprach. Jedoch darf er jeden Samstag der Woche, wo Melusine ein Bad nimmt, diese nicht betrachten. Mit diesem Verbot soll gewährleistet sein, dass Reymund Melusine nicht in ihrer wahren Wasserfee-Gestalt sieht. Das Wesen war der Ursprung seines Wohlstands und Ansehens, jedoch brach er dieses Tabu. Daraufhin trennte Melusine sich von ihrem Mann und wandelte sich in ihre ursprüngliche Gestalt zurück. Aufgrund ihrer zehn gemeinsamen Kinder kam sie immer wieder zurück, um nach ihren Kindern zu sehen.[15]

Die Melusine tritt im Mittelalter mit diesem eigenen Typus auf. Sie wird als merwunder bezeichnet und durch das Auffinden im Waldbrunnen fällt sie dementsprechend in die Kategorie der Wasserwesen. Jedoch wird sie als Schlangenfrau – menschlicher Oberkörper mit Schlangenunterkörper – präsentiert. Sie bekommt die Rolle als Verderberin, Verführerin und Gebärerin. Ganz interessant dabei anzumerken ist, dass sie als Verführerin gilt, da sie Männern einen Heiratsantrag macht. Bei Homer beispielsweise konkurrenzieren sich die Nymphen und Sirenen mit der Gattin des Helden, hier wird Melusine selbst die Ehefrau. Die Rolle der Verderberin nimmt sie ein, da sie ihrem Mann aufgrund seines Vertrauensbruches mit Unheil droht. Im Vordergrund steht sie allerdings als Gebärerin. Sie bringt zehn Söhne zur Welt. In der Literatur ist sie die Stammmutter des südwestfranzösischen Hauses Lusignan. Dabei versucht man, der historischen Herrscherfamilie mehr Mystik durch einen mythischen Gründungsakt hinzuzugewinnen.[16]

Abb. 7: Detail der doppelschwänzigen Meerjungfrau, Seitenansicht

Als Melusine werden häufig auch doppel- oder zweischwänzige Meerjungfrauen (Abb. 7) bezeichnet. Auch wenn die Sagengestalt im europäischen Raum auf das 12. Jahrhundert zurückgeht, so kommt diese spezifische Gestalt bereits im antiken Griechenland als auch bei den Etruskern und Römern vor. Verschiedene Göttinnen der Mütter, Meere oder Flüsse verehrte man auch in Westafrika in Form von doppelschwänzigen Nixen. Durch die Verschiffung versklavter Personen verbreitete sich das Bild nach Amerika und auf andere Länder und Kontinente. Bei einigen Gruppen wird sie als eine Vertretung der Urkraft der Erde gesehen, ihre Haltung als eine Gebärstellung betrachtet. Anders ist es in der christlichen Symbolik: Hier steht sie primär für die sexuelle Verführung. An Kirchenportalen angebracht ist sie die Warnung vor der „dämonische[n] Macht der Sexualität“. Eine Umwertung erfuhr sie durch die immer wiederkehrende Einbindung in der Heraldik und den Wappen einiger Adelsfamilien, die oftmals eine Verbindung zu Gewässer aufweisen.[17]

An diesen Beispielen ist es ersichtlich wie weitreichend und divers dieser Mythos sich entwickelte. Angefangen mit der hilflosen Gestalt einer Meerjungfrau als verdammtes Wesen, das nur befreit werden kann durch die Liebe eines Mannes. Im Gegenteil stehen dazu Sirenen und Nixen als Dämoninnen, die Männern den Tod brachten. Im Laufe des Mittelalters vermischten sich die Mythen und Legenden und erzeugten neue Geschichten und Erzähltraditionen. [18] Vergessen werden darf dabei nicht, dass die ursprünglichen Sagen zuerst mündlich tradiert wurden und erst in späterer Folge schriftlich weitergegeben wurden. Auch heute noch wird das Symbol der zweischwänzigen Meerjungfrau verwendet. Nicht nur im kunsthandwerklichen Bereich wie bei diesem Exponat, sondern auch bei modernen Werbelogos wie der Marke Starbucks.

Wenn nun Ihr Interesse an dieser mythologischen Gestalt und dieser Deckeldose aus Wien mit ihren einzigartigen Materialien geweckt ist, besuchen Sie gerne die derzeitige Sonderausstellung „Vom Zauber der Materialien. Faszinierende Werkstoffe und ihre Verwendung im alten Kunsthandwerk“ in der Schell Collection. Neben beeindruckenden kunsthandwerklichen Erzeugnissen bekommen Sie spannende Einblicke in die verschiedensten Ausgangsmaterialien. Dafür wurden erstmals Leihgaben vom Universalmuseum Joanneum herangezogen. Somit gewinnen Sie einen Einblick in die alte Handwerkskunst, aber auch ihren Werkstoffen. Die Ausstellung wird noch bis Herbst 2026 im Foyer der Schell Collection zu sehen sein. Danach können Sie gerne dieses Objekt in der Vitrine im 1. Stock in der Dauerausstellung zum Thema Versperrbare Objekte aus Europa bestaunen.

 

Text: Jasmin Längle, MA

 

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1-3 und 5-7: Deckeldose mit Emailauflagen, Karl Roessler, Wien, spätes 19. Jh., © Schell Collection
Abb. 4: Vergleichwerk einer Deckeldose mit Emailauflagen, Wien, 19. Jh., © Bonhams 2001-2025

Literaturverzeichnis

Dombi, Istvan/Höfler, Bernd/Loschek, Ingrid: Bruckmann’s Silber-Lexikon. München 1982.

Hartmann, Peter Wulf: Kunstlexikon. Wien 1996.

Jäger-Sunstenau, Hanns: 600 Jahre Gold- und Silberschmiede. In: Klecacky, Rudolf (Hg.): 600 Jahre Gold- und Silberschmiedekunst. Wien 1967, S. 17-42.

Kraß, Andreas: Meerjungfrauen. Geschichten einer unmöglichen Liebe. Frankfurt am Main 2010.

Neuwirth Waltraud: Wiener Gold- und Silberschmiede und ihre Punzen 1867-1922. 2 Bde., Band 2: L-Z, Wien 1977.

Otruba, Gustav: Alter, Verbreitung und Zunftorganisation des Goldschmiedehandwerks in Österreich. In: Klecacky, Rudolf (Hg.): 600 Jahre Gold- und Silberschmiedekunst. Wien 1967, S. 55-64.

Speel, Erika: Painted enamles. An illustrated survey 1500-1920. Hampshire 2008.

Steingräber, Erich: Der Goldschmied. Vom alten Handwerk der Gold- und Silberarbeiter. München 1966.

Webster, Robert: Gems. Their Sources, Description and Identification, Volume 1. London 1962.

Weisgerber, Gerd: Schmucksteine im Alten Orient (Lapislazuli, Türkis, Achat, Karneol). In: Stöllner, Thomas (Hg.): Persiens Antike Pracht, Band 1. Bochum 2004, S. 64-75.

Hartmann, Peter Wulf: Kunstlexikon. Wien 1996.

Online Quellen

Brönnle, Stefan: Mythische Wesen – Melusine. In: Inana, https://www.inana.info/blog/melusine, 26.09.2017, (Zugriff: 17.10.2025).

Meier, Joana: Wie kommt die Meerjungfrau ins Kloster Wettingen?. In: Museum Aargau, https://www.museumaargau.ch/blog/artikel/wie-kommt-die-meerjungfrau-ins-kloster-wettingen, 14.08.2023, (Zugriff: 17.10.2025).

Schmidt, Nina Alexandra: Melusine. In: RDK Labor, https://www.rdklabor.de/wiki/Melusine, 2023, (Zugriff: 20.10.2025).

WStLA, https://www.wien.gv.at/actaproweb2/benutzung/archive.xhtml?id=Stueck++ee4dce53-c2e7-4169-89d7-63323f62241eVERA&parent_id=#Stueck__ee4dce53-c2e7-4169-89d7-63323f62241eVERA, (26.09.2025).

 

[1] Vgl. Dombi/Höfler/Loschek 1982, S. 36.

[2] Die Schreibweise variiert in einigen Dokumenten.

[3] Vgl. Neuwirth 1977, S. 152.

[4] Quelle: WStLA.

[5] Vgl. Webster 1962, S. 200 und vgl. Weisgerber 2004, S. 65 und vgl. Hartmann 1996, S. 902.

[6] Vgl. Jäger-Sunstenau 1967, S. 19f., 25f und vgl. Jäger-Sunstenau 1967, S. 5-8, 25-28.

[7] Vgl. Jäger-Sunstenau 1967, S. 25 und vgl. Otruba 1967, S. 55.

[8] Vgl. Speel 2008, S. 141-143.

[9] Zu einem ausgewählten Beispiel eines Reliquienschreins aus Limoges können Sie hier in diesem Objekt des Monats März 2021 mehr erfahren.

[10] Vgl. Speel 2008, S. 141-143.

[11] Vgl. Steingräber 1966, S. 5, 8f., 25, 28, 41, 63.

[12] Vgl. Kraß 2010, S. 13-16.

[13] Vgl. Kraß 2010, S. 14, 165.

[14] Unter Martenehe versteht man eine Ehe zwischen einem Menschen und einer Fee.

[15] Vgl. Hartmann 1996, S. 992 und vgl. Schmidt 2023, o.A.

[16] Vgl. Kraß 2010, S. 97.

[17] Vgl. Brönnle 2017, o.A.

[18] Vgl. Meier 2023, o.A.