Objekt des Monats

Objekt des Monats Februar 2018

Kassette aus Eisenkunstguss und Messing mit Flachdeckel, Deutschland 1565

Maße: 28 x 18 x 18,5 cm

Inv.-Nr. 2817

Das Objekt:

Bei dieser Kassette ist es ein großes Glück, dass im Deckel eine Jahreszahl eingraviert ist. Damit kann man das Entstehungsjahr des Stücks auf das Jahr 1565 genau datieren. Das Objekt besteht zum größten Teil aus gegossenem Eisen. Die Kanten und Füße des Objekts sind aus Messing angefertigt worden. Der Deckel zeigt keinerlei Wölbung. Sowohl rundherum auf den Seiten, aber auch auf dem Deckel sind Darstellungen von griechischen Mythen zu sehen, je zwei auf Vorder- und Rückseite, je eine auf den Seiten links und rechts und eine auf dem Deckel. Die vier Füße des Objekts sind in der Form von Löwen gestaltet, die schräg nach außen blicken und je eine Schriftrolle in den Pranken halten. Zwischen den mythologischen Darstellungen sind kleine halbrunde Säulen aus Messing, die an der Spitze einen geflügelten Kopf zeigen. Die Kassette zeigt dem Betrachter unter jeder Darstellung eine Beschreibung der Szene auf Latein. Das Objekt stammt aus Deutschland und wird einem Künstler namens Jörg Sigman zugeschrieben.

Diese Art der Herstellung war für das 16. Jahrhundert außergewöhnlich und es sind nicht viele Kassetten dieser Art bekannt. Obwohl schon seit dem 14. Jahrhundert in Europa Eisen vermehrt gegossen wurde, kam die Blüte dieser Technik erst im 19. Jahrhundert. Neben Waffen und industriellen Stücken entstanden auch Kunstobjekte, die ihresgleichen suchten. Auch gusseiserne Kästchen gehörten zum Repertoire der Gießereien.

Der Künstler:

In der Literatur findet man für den Künstler Sigman sowohl den Vornamen Georg[1] als auch Jörg[2]. Er war ein Goldschmied, der hauptsächlich in Augsburg tätig war. Das Geburtsjahr wird meistens mit 1527 angegeben und das Sterbejahr mit 1601. Jörg Sigman diente in den Jahren 1549/1550 als Geselle bei Plattner Desiderius Helmschmied.[3] Boeheim gibt hier Augsburg als Standort des Betriebes an und nennt den Namen Desiderius Colman.[4] Der Künstler hatte einen sehr prominenten Gönner – nämlich Philipp II. (1527-1598), den Sohn von Kaiser Karl V. (1500-1558) und späteren König von Spanien. 1552 war Sigman zum Goldschmiedmeister aufgestiegen und durfte auch Rüstungsteile, die für Philipp II. bestimmt waren, mitgestalten. Dazu zählen eine Sturmhaube sowie ein Prunkschwert. In der Forschung wird diskutiert, welche Stücke eindeutig Jörg Sigman zuzuordnen sind, aber auch die Frage ob nicht andere Meister dafür verantwortlich waren.[5]

Über sein privates Leben ist nicht viel bekannt, außer dass er zweimal verheiratet war. Neben seinem Gönner Philipp II. hatte Jörg Sigman noch mit einem weiteren mächtigen Mann seiner Zeit Kontakt – nämlich dem Bischof von Würzburg. Weiters ist das Wappen von Jörg Sigman bekannt und ist im Stadtarchiv von Augsburg vermerkt.[6]

Die Darstellungen:

Auf der Kassette befinden sich insgesamt sieben Bilder, die dem Betrachter Szenen aus der griechischen Mythologie zeigen.

Deckel:

Auf dem Deckel ist eine der tragischsten Figuren der antiken Literatur abgebildet. Diese Szene zeigt Orpheus, den großen Sänger der griechischen Mythologie. Er konnte so wunderbar singen und musizieren, dass sogar wilde Tiere und Pflanzen ihm zuhörten. Orpheus sitzt in der linken Bildhälfte inmitten von verschiedenen wilden Tieren und spielt auf einer Geige.Das Instrument ist eher ungewöhnlich, denn Orpheus wird meistens mit einer Lyra oder Leier dargestellt. Bekannt ist der Gang des Orpheus in die Unterwelt, um seine verstorbene Gattin Eurydike von den Toten wiederzuholen. Zwar gewährten ihm die Unterweltsgottheiten Hades und Persephone, dass er Eurydike wieder mit auf die Erde nehmen dürfe, nachdem Orpheus die Herzen der Unsterblichen mit seinem Gesang erweicht hatte. Doch war es ihm verboten, sich auf dem Rückweg nach seiner Geliebten umzudrehen. Orpheus konnte dem Verlangen jedoch nicht wiederstehen und Eurydikes Schatten schwebte wieder zurück in das dunkle Reich des Hades.[7]

Vorderseite:

Auf der Vorderseite werden zwei Mythen gezeigt, die beide von einem schönen Mädchen namens Koronis erzählen. Allerdings handeln sie nicht von ein und derselben Koronis.

Auf der linken Seite ist die Geschichte von Apollon und Koronis dargestellt. Die beiden hatten eine Liebesbeziehung und Koronis erwartete ein Kind von dem Gott. Da sie ihn aber mit einem Sterblichen betrog. Ein weißer Rabe erzählte Apollon von dem Betrug seiner Geliebten. Seine erste Wut ließ der Gott an dem Vogel aus und färbte sein Gefieder schwarz. Apollon tötete Koronis im Zorn mit einem Pfeil und das ungeborene Kind entnahm der Gott. Es erhielt den Namen Askleipios und wurde zum Gott der Heilkunst.[8] Auf dem Kästchen ist jene Szene dargestellt, in der Apollon Koronis erschießt. Der Gott ist auf der rechten Seite mit Pfeil und Bogen bewaffnet zu sehen. Seine Leier, ein weiteres Attribut von Apollon, liegt im Gras vor ihm. Der Rabe ist rechts neben Apollon zu sehen. Koronis lehnt an einem Baum und ein Pfeil steckt in ihrer Brust.

Wie bereits erwähnt zeigt die rechte Seite ebenfalls einen Mythos, in dem ein Mädchen namens Koronis die Protagonistin ist. Hier allerdings verliebte sich der Meeresgott Poseidon in eine schöne Prinzessin gleichen Namens und versuchte sie zu verführen. Koronis floh vor ihm und flehte Athene an ihr zu helfen. Die Göttin verwandelte sie darauf hin in eine Krähe. So konnte Koronis dem Gott des Meeres entkommen.[9] Auf der Darstellung sieht man Koronis über den Strand davon laufen. Sie beginnt sich bereits in eine Krähe zu verwandeln, wie an den Flügeln und Krallenfüßen sichtbar ist. Rechts von ihr sieht man Poseidon aus dem Meer auf Koronis zukommen. Eine Hand streckt der Gott nach dem Mädchen aus und in der anderen hält er den Dreizack, eines seiner Attribute.

Linke Seite

Auf dieser Darstellung sieht man eine Szene aus den Erzählungen rund um den berühmten Helden Herakles. Dieser war der Sohn des Zeus und der sterblichen Alkmene. Bis heute sind vor allem seine 12 Arbeiten bekannt. Das Kästchen zeigt allerdings eine weniger bekannte Episode aus dem Leben des Helden. Herakles war mit seiner Frau Deianeira unterwegs und sie mussten über einen Fluss. Der Held watete selbst durch das Wasser und seine Frau wurde vom Kentauren Nessos auf dem Rücken getragen. Dieses Wesen, halb Mensch halb Pferd, diente dort, in dem er Reisende über den Fluss trug. Nessos belästigte Deianeira und wurde dafür von Herakles mit einem Pfeil getötet. Herakles sollte es aber noch bereuen den Kentauren getötet zu haben. Nessos überredete Deianeira sein Blut aufzufangen. Damit so sagte er ihr, würde ihr Herakles immer treu bleiben. Eines Tages wurde Deianeira wegen einer anderen Frau eifersüchtig und sie bestrich das Gewand des Herakles mit Nessos Blut. Als der Held es überstreifte, brannte das giftige Blut auf seiner Haut und er litt unsägliche Schmerzen. Herakles wurde auf dem Scheiterhaufen verbrannt und seine Pfeile gingen an seinen Freund Philoktetes.[10] Die Darstellung auf dem Objekt zeigt Herakles am Ufer stehend und einen Pfeil spannend, während Nessos die um Hilfe rufende Deianeira belästigt.

Rechte Seite

Diese Abbildung zeigt einen Mythos, der nur wenig geläufig ist. Dieser erzählt die Geschichte des Jünglings Kyparissos, der ein Geliebter des Apollon war. Kyparissos hatte sich mit einem Hirsch angefreundet, den er öfter im Wald besuchte. Eines Tages war Kyparissos auf der Jagd und erschoss versehentlich seinen tierischen Freund. Der Jüngling war untröstlich und flehte die Götter, vor allem seinen Freund Apollon an, ihn von seinem Leid zu erlösen. Daraufhin wurde Kyparissos in eine Zypresse verwandelt, die in der Antike ein Symbol für Trauer war.[11] Das Bild auf der Kassette zeigt die bereits einsetzende Verwandlung des Kyparissos in einen Baum auf der linken Seite und rechts ist der getroffene Hirsch bereits zu Boden gesunken.

Rückseite:

Auf der rückwärtigen Seite des Kästchens sind – wie auf der Vorderseite – zwei Mythen dargestellt.

Links sieht man die Darstellung des Mythos „Raub der Europa“. Diese Erzählung ist bis heute vielen ein Begriff, denn damit wird die Benennung des gleichnamigen Kontinents erklärt. Europa war eine phoinizische Prinzessin und Zeus verliebte sich unsterblich in das schöne Mädchen. Der Gott stieg auf die Erde hinab und verwandelte sich in einen prächtigen Stier. Europa spielte mit ihren Freundinnen auf einer Wiese und der Stier gesellte sich zu ihnen. Da das Tier zahm zu sein schien, kletterte Europa auf seinen Rücken. Darauf hatte der verwandelte Zeus nur gewartet. Sofort sprang er auf und lief mit seiner schönen Beute direkt ins Meer. Europa konnte nichts tun außer sich am Stier festzuhalten und abzuwarten. Auf der Insel Kreta stieg Zeus mit Europa an Land, verwandelte sich zurück und gewann die Liebe des Mädchens. Gemeinsam hatten sie drei Söhne und der Name von Europa ging auf jenen Kontinent über, der sie aufgenommen hatte.[12] Auf dem Kästchen ist jene Szene zu sehen, als der Stier bereits durch die Wellen schwimmt und Europa sich an ihn klammert. Europa und der Stier befinden sich auf der linken Bildhälfte und rechts sieht man zwei Freundinnen der Europa, die verzweifelt ihre Arme nach der Entführten ausstrecken.

Auf der rechten Seite rückwärtig ist der Mythos des Helden Perseus abgebildet. In den antiken Mythen galt er als derjenige, der Medusa getötete hatte. Perseus war der Sohn des Zeus und der sterblichen Danae. Der Gott kam zu der schöne Danae als Goldregen, da sie von ihrem Vater in einen Turm gesperrt gewesen war. So wurde Perseus gezeugt. Als Perseus ein junger Mann geworden war, zog er aus um Heldentaten zu vollbringen. Sein Ziel war es das Ungeheuer Medusa zu erschlagen. Ursprünglich war dieses Monster eine wunderschöne Frau gewesen, doch sie zog sich den Zorn der Athene zu. Medusa hatte Schlangenhaare, Zähne wie ein Eber, eiserne Klauen und einen Blick, der alles zu Stein werden ließ. Perseus fand mit Hilfe der Graien – drei Schwestern mit der Gabe in die Zukunft zu sehen – heraus, wo Medusa hauste. Mit weiteren göttlichen Geschenken wie einem geflügelten Helm und einem Rucksack versehen trat Perseus Medusa gegenüber. Mit einem Trick tötete der Held das Ungeheuer, schlug ihm den Kopf ab und nahm diesen mit. Auf seinen weiteren Reisen kam Perseus nach Äthiopien und fand dort Prinzessin Andromeda vor, die an einen Felsen gekettet war. Sie sollte einem Meeresungeheuer zum Fraß vorgeworfen werden, das die Küste verwüstete. Ihre Mutter hatte die Götter beleidigt und dafür sandten diese ein Untier. Perseus trat dem Ungeheuer entgegen und hielt ihm den Kopf der Medusa vor. Das gewaltige Monster versteinerte augenblicklich und Perseus konnte so Andromeda befreien. Die beiden verliebten sich und heirateten.[13] Die Szene auf dem Kästchen zeigt den Helden Perseus wie er über dem toten Körper von Medusa steht und den abgetrennten Kopf in der Hand hält. Links neben Medusa ist das geflügelte Pferd Pegasos zu sehen. Dieses soll laut dem Mythos aus dem toten Rumpf von Medusa entsprungen sein.

Text: Mag. Verena Lang

Literatur:

Berger, Ewald: Prunkkassetten – Meisterwerke aus der Hanns Schell Collection. Graz – 1998.

Boeheim, Wendelin: Meister der Waffenschmiedekunst vom XIV. bis ins XVIII. Jahrhundert. Ein Beitrag zur Geschichte der Kunst und des Kunsthandwerks. Berlin – 1897.

Kerényi, Karl: Die Mythologie der Griechen, Bd. 2, 21. Auflage. München – 2004.

Kurts, Friedrich: Handbuch der Mythologie. Leipzig – 1869.

Publius Ovidius Naso: Metamorphosen. In einer Übertragung von Johann Heinrich Voß, 8. Auflage. Frankfurt am Main – 2014

Schwab, Gustav: Sagen des klassischen Altertums. Wien – 1974.

Thomas, Bruno, Augsburger Harnische und Stangenwaffen (Plattner, Ätzmaler, Goldschmiede. In: Welt im Umbruch – Augsburg zwischen Renaissance und Barock, Bd. 2: Rathaus. Augsburg – 1980. S. 79-94.

Tripp, Edward: Reclams Lexikon der antiken Mythologie, 8. bibliographisch aktualisierte Auflage. Stuttgart – 2012.

 

[1] Boeheim, Meister der Waffenschmiedekunst. S. 203

[2] Thomas, Augsburger Harnische und Stangenwaffen. In: Welt im Umbruch. Augsburg zwischen Renaissance und Barock, Bd. 2: Rathaus. S. 89

[3] Vgl. Thomas, Augsburger Harnische und Stangenwaffen. In: Welt im Umbruch, Bd. 2. S. 89.

[4] Vgl. Boeheim, Meister der Waffenschmiedekunst. S. 203.

[5] Vgl. Thomas, Augsburger Harnische und Stangenwaffen. In: Welt im Umbruch, Bd. 2. S. 90ff.

[6] Vgl. Ebda. S. 204

[7] Vgl. Kerényi, Die Mythologie der Griechen, Bd. 2. S. 220-225; Kurts, Handbuch der Mythologie. S. 248; Schwab, Sagen des klassischen Altertums. S. 96f.; Tripp, Reclams Lexikon der antiken Mythologie. S. 397f.

[8] Vgl. Kerényi, Die Mythologie der Griechen, Bd. 2. S. 21, 188; Kurts, Handbuch Mythologie. S. 145f.; Tripp, Reclams Lexikon der antiken Mythologie. S. 104f.

[9] Vgl. Ovid, Metamorphosen, II, 550-588.

[10] Vgl. Kerényi, Die Mythologie der Griechen, Bd. 2. S. 160ff.; Kurts, Handbuch der Mythologie. S. 254; Schwab, Sagen des klassischen Altertums. S. 166, 169.

[11] Vgl. Kerényi, Die Mythologie der Griechen, Bd. 2. S. 264, 271; Tripp, Reclams Lexikon der griechischen Mythologie. S. 305.

[12] Vgl. Kurts, Handbuch der Mythologie. S. 103; Schwab, Sagen des klassischen Altertums. S. 32-35

[13] Vgl. Kurts, Handbuch der Mythologie. S. 79, 105f., 176, 178; Schwab, Sagen des klassischen Altertums. S. 43-46; Tripp, Reclams Lexikon der antiken Mythologie. S. 423-427.